Der Tsunami im Dezember 2004 war eine Naturkatastrophe bis dahin unbekannten Ausmaßes. Auch die Spenden-bereitschaft erreichte neue Dimensionen. Was das für die HelferInnen bedeutete und welche Lehren sich zehn Jahre später ziehen lassen, hat Südwind-Redakteurin Christina Bell den Katastrophenhelfer Max Santner gefragt.
Die Emotion durch bewegte Bilder müsse es gewesen sein, vermutet Max Santner. Quasi in Echtzeit bekamen die Menschen den Tsunami im Indischen Ozean mit. In die beschauliche Atmosphäre der Weihnachtsfeiertage drangen Zeugnisse von Chaos und Zerstörung. „Es war das erste Mal in der Geschichte, dass eine Katastrophe weltweit eine solche mediale Präsenz hatte. Das hat international eine zuvor unbekannte Betroffenheit ausgelöst, gefolgt von einer immensen Bereitschaft zu geben, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite“, erinnert sich der Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz.
Zehn Jahre sind vergangen seit jenem prägenden 26. Dezember 2004, der den Begriff „Tsunami“ in der kollektiven Erinnerung verankerte. Die gewaltigen Flutwellen verwüsteten nicht nur ganze Landstriche in insgesamt 15 Ländern (siehe Karte S.14). Sie stellten die Welt vorübergehend auf den Kopf. Auch die der humanitären HelferInnen, wie Santner retrospektiv schildert. Normalerweise setze man ein Programm auf und treibe dann das Geld dafür auf, erklärt der erfahrene Helfer. Nach dem Tsunami wurde diese Logik umgekehrt. „Es gab so viel Geld und man musste zuerst die passenden Programme suchen.“ Schätzungen gehen davon aus, dass sich das Spendenaufkommen insgesamt auf 14 Milliarden US-Dollar belief, davon 5,5 Milliarden aus privaten Quellen. Als Folge davon sei dann sogar eine Art Wettbewerb um Projekte und Programme entstanden. „Und das ist auf keinen Fall gesund.“ Auch beim Personal machte sich die Dimension der Naturkatastrophe bemerkbar: Vom kleinen Sparverein bis zur großen Organisation, jeder entsandte sein eigenes Personal nach Indonesien, Sri Lanka oder Thailand. Viele fuhren zum ersten Mal auf einen humanitären Einsatz. „Dabei wäre es gerade in dieser Ausnahmesituation wichtig gewesen, das soziokulturelle Umfeld zu kennen.“ Santner selbst hatte den Vorteil, auf langjährige Erfahrung im südostasiatischen Raum zurückblicken zu können. Nach dem Tsunami blieb er zwei Jahre in Sri Lanka, um dort die Projekte der eigens ins Leben gerufenen Kurier Aid Austria zu leiten.
Die Unerfahrenheit vieler HelferInnen führte laut Santner zu Reibungsverlusten, die Ahnungslosigkeit vieler Geldgeber dazu, dass zu wenig Wert auf Partizipation der Bevölkerung gelegt wurde. Dabei spielte auch der mediale Druck, das Geld loszuwerden, eine Rolle. Sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen und begangene Fehler nicht zu wiederholen, hält Santner für wichtige Lehren aus der Tsunami-Hilfe. Hatte die Ausnahmesituation für Humanitäre Hilfe auch positive Effekte? Auf Makroebene nennt Santner die von den Vereinten Nationen nach dem Tsunami initiierte „Sektorreform“. Diese sei zwar noch nicht abgeschlossen, aber ein wichtiger erster Schritt Richtung bessere Koordination. Idee dahinter war die Schaffung eines Clustersystems, das Zuständigkeiten nach Sektoren einteilt, um so besser auf Katastrophen reagieren zu können.
Hat sich auch in Österreich etwas bewegt? Santner zögert. „Der Auslandskatastrophenfonds wurde beschlossen.“ Diesen wollte man wenige Wochen nach dem Tsunami mit kolportierten 100 Millionen Euro dotieren. „Das konnte sich niemand auch nur annähernd vorstellen“, so Santner. Soweit kam es ohnehin nie. Jahrelang wurde der neu geschaffene Fonds überhaupt nicht dotiert, als Ergebnis der Budgetverhandlungen 2009/10 dann mit fünf Millionen Euro, „im Vergleich zu anderen Staaten ein lächerlicher Betrag“, resümiert Santner. Organisationen wie das Rote Kreuz fordern seit Jahren eine Aufstockung der Budgetmittel, „zumindest auf die 20 Millionen Euro, die im aktuellen Regierungsprogramm -stehen“.
Dass es den Fonds gibt, sei eine direkte Folge des Tsunami. Das Gesetz wurde im Jänner 2005 verabschiedet. „Aber man kann es drehen und wenden wie man will“, sagt Santner. „Wenn man nicht bereit ist, mehr Geld in die Hand zu nehmen, ist alles andere Makulatur.“
Unabhängig von singulären Ereignissen wie dem Tsunami stießen Hilfsorganisationen an Systemgrenzen, weil der politische Wille fehle. „Das hat mit verschlampter Außenpolitik über 30 bis 40 Jahre zu tun.“ Was würde er sich wünschen? Genau diesen politischen Willen, um dem Thema Entwicklungspolitik und internationale Hilfe endlich den entsprechenden Stellenwert zu geben. Und dass die Menschen davon wegkämen, humanitäre Hilfe als Almosen zu sehen, losgelöst von jedem Recht oder jeglicher Verantwortung. Davon seien wir in Österreich allerdings noch weit entfernt, sagt Santner abschließend. „Hilfe basiert bei uns nur auf einem Mitleidsgedanken.“
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