Der südafrikanische Politikwissenschaftler Mzukisi Qobo sieht einen Bruch innerhalb des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Warum trotzdem viele Menschen am Kap ANC wählen, und wo das Land in 20 Jahren stehen könnte, darüber sprach er mit Anna Mayumi Kerber.
Südwind-Magazin: Der ANC gewann die Wahlen im Mai mit 62 Prozent. Und das, nachdem Zuma mehrfach in der Öffentlichkeit ausgebuht wurde. Wie erklären Sie das?
Mzukisi Qobo: Als Zuma 2009 an die Macht kam, war er unglaublich beliebt. Er siegte gegen Thabo Mbeki und Kgalema Motlanthe. Seine Popularität bei der Mittelklasse hat sicherlich abgenommen. Er wird nicht als jemand gesehen, der das Land angemessen repräsentiert und der Welt ein Bild Südafrikas vermittelt, das Leute gerne sehen. Unter der armen Bevölkerung bleibt Zuma aber populär.
Warum?
Rund 17 Millionen Menschen in diesem Land haben heute eine Sozialversicherung. Sie schreiben das dem ANC und Jacob Zuma zu. Er ist der Mann der kleinen Leute. Er verkörpert den gewöhnlichen Menschen in Südafrika, mit all seinen Schwächen. Er wird als Politiker „zum Anfassen“ gesehen. Er kommt aus einem Dorf in einem Teil Südafrikas, der für Armut steht. Mbeki war so ziemlich das Gegenteil von Zuma in dieser Hinsicht. Er war gebildet und ist die großen Themen intellektuell angegangen. Aber während die schwarze Mittelklasse ihn liebte, konnte die arme Bevölkerung sich nicht mit ihm identifizieren.
Wo steht die Demokratische Allianz (DA) unter Helen Zille?
Es sind nicht nur die Armen, Arbeitslosen und Arbeiter, die den ANC wählen, sondern auch ein großer Teil der schwarzen Mittelklasse. Rasse spielt in Südafrika nach wie vor eine zentrale Rolle. Viele sehen in der DA eine Fortsetzung der weißen Vormachtstellung. Politik und Agenda der DA werden stark von weißen Intellektuellen und Experten beeinflusst. Die DA kann sich selbst der Bevölkerung annähern oder versuchen, diese davon zu überzeugen, dass sie ihr näher kommt. Ich glaube, Letzteres ist wahrscheinlicher. Ein wachsender Teil der schwarzen Mittelklasse findet es zunehmend in Ordnung, für die DA zu stimmen. Darunter sind vor allem Junge, die das Apartheidregime nicht miterlebt haben und damit auch die Sprache des ANC nicht verstehen.
Wie sah der ANC im Vergleich zu heute 1994 aus?
Wir vergessen manchmal, dass der ANC drei Jahrzehnte verbannt im Exil verbracht hat. Er war nicht darauf vorbereitet, ein Land zu regieren, als er an die Macht kam. Er hat den Sprung auch nie geschafft. Wir sehen einen Bruch zwischen einer Generation des ANC, die auf moralische Werte, Intellektualität setzte und sich verpflichtet sah, ein Land aufzubauen, und Jacob Zumas ANC. Dieser interessiert sich mehr für sich selbst, unter ihm ist die Korruption in Südafrika gewachsen. Die allgemeine Stimmung ist so schlecht wie seit der Zeit vor 1994 nicht mehr.
Der ANC versprach Veränderung, eine bessere Gesellschaft, die Südafrika über die Wunden des Apartheidregimes hinweghelfen kann, und über die Demütigungen, die durch das Apartheidregime vor allem der schwarzen Bevölkerung zugefügt wurden. Er hatte die seltene Chance, Afrikas postkoloniale politische Entwicklung zu beobachten und seine Lektion daraus zu ziehen. Leider hat man die Chance nicht genutzt.
Stichwort Korruption – was ist schief gelaufen?
Viele aus der alten Generation im ANC und anderen Bewegungen – wie etwa aus den Gewerkschaften oder der Black Consciousness Bewegung – wurden von moralischen Werten wie Selbstlosigkeit und Freiheit angetrieben. Die meisten lebten bescheiden. Gleichzeitig fühlten sie, dass sie viel verpasst haben. Dass es ihnen ohne Apartheid besser ergangen wäre. Mit der Machtübernahme und staatlichen Aufträgen kamen die materiellen Versuchungen. Politische Zugehörigkeit wurde zu einer Gratiseintrittskarte zu Geschäftsdeals. Natürlich sind das individuelle Entscheidungen und nicht jeder tappte in die Falle. Doch diese Art von Leadership hat die Werte und den Charakter des ANC deformiert. Nicht nur Zuma, sondern viele andere müssen – müssten – sich vor Gericht verantworten.
Welche Rolle spielte Nelson Mandela bei der Veränderung innerhalb der Partei über die Zeit?
Mandela spielte eine wichtige Rolle als „Hebamme” für Veränderung im Land. Er kämpfte nicht nur für eine völlig neue Gesellschaft, in der Rassen wie Parteien gleichgestellt sein sollten. Mandela konnte gleichzeitig auch verschiedene Fraktionen, die es bereits damals innerhalb des ANC gab, zusammenhalten. Als Mandela ging, wurden sie sichtbar.
Wie könnten die nächsten zehn Jahre in Südafrika aussehen?
Die Aktivitäten des ANC werden sich um interne Angelegenheiten drehen, was wiederum die Kapazität der Regierung, die wirklich wichtigen Dinge zu regeln, schmälern wird. Die nächsten eineinhalb, zwei Jahre werden durch einen Kampf um die Nachfolge von Zuma im ANC dominiert werden. Und Zuma wird sich Sorgen machen, ob die gegen ihn bestehenden Anklagen wieder aufgenommen werden. Bis 2020 werden wir viele Chancen ausgelassen haben, die Wirtschaft wird geschädigt sein, Korruption nach wie vor bestehen. Wir werden wohl genau da stehen, wo wir heute sind.
Mzukisi Qobo ist Professor für Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Universität von Pretoria sowie Co-Autor (gemeinsam mit Prince Mashele) des Buchs „The fall of the ANC. What next?”.
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