João Paulo Cuenca
Roman. Aus dem Spanischen von Michael Kegler. A1 Verlag, München 2012, 141 Seiten, EUR 17,40
Lebend in einer grotesken Welt, in der sein Vater Atsuo Okuda über versteckte Kameras die privatesten Bereiche aller Menschen ausforscht, trifft Shunsuke auf die Kellnerin Iulana Romiszowska. Der Angestellte, der immer eine Frau braucht, an die er sich klammern kann, verliebt sich in sie und zeigt der Rumänin die Stadt. Er versucht sie zu beeindrucken, versucht ihr zu gefallen, aber niemand kann in diesem abstrakten Tokio vor den Augen Herrn Okudas fliehen. Jede Bewegung wird von dessen „U-Boot“, einer gewaltigen Ansammlung von Bildschirmen, aufgezeichnet. Es ist ein sinnfreies Dokumentieren, Speichern aller Tätigkeiten auf Film. Diesem Voyeurismus geht der ehemalige Dichter gemeinsam mit dem eiskalten Professor Suguro Shibata nach.
Aber es kommt zu mehr als nur Beobachtung, immer aktiver mischt sich Shunsukes Vater in die Liebesgeschichte der beiden ein. Er verfolgt das Paar in der Gestalt einer riesigen Languste, flüstert Shunsuke zu, dass er sie töten werden müsse, und lässt Iulanas Mitbewohnerin und geheime Liebe, die Tänzerin Kazumi, vergewaltigen. Das ganze Buch ist dominiert von seiner Omnipräsenz und Macht, der man keinen Einhalt gebieten kann. Zuletzt lässt er sogar den Waggon, in dem Shunsuke und Iulana sitzen, verunglücken. Allein sein Sohn überlebt den Unfall, allerdings schwer verletzt und deformiert, und für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt.
João Paulo Cuenca verwendet eine Sprache, die nur wenig zeigt, aber dadurch umso mehr Raum für die Imagination des Lesers öffnet. Es ist auch eine sehr sachliche, konstatierende Sprache, die oft völlig unerwartet kommt, und bedeutende Geschehnisse in der Handlung in einem einzigen Satz beschreibt. Und gerade durch diesen knappen, nüchternen Stil haben diese Ereignisse dann umso mehr Gewicht.
Die Geschichte ist mitreißend, spannend, denn man kann nicht erahnen, was geschehen wird. Man sieht vielmehr auf einzelne Teile, die kunstfertig aneinandergelegt werden. Es ist eine sehr abstrakte, irreale Welt, die man nicht durchschauen kann, man kann sie nur als Zuschauer sehen. Und gerade deswegen ist sie ein Kunstwerk, das man bestaunen kann.
Benedikt Rup
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