I. Charim, G. Auer Borea (Hg.)
Sachbuch. Verlag Transcript, Bielefeld 2012, 280 Seiten, EUR 24,80
War der Begriff „Diaspora“ früher auf das jüdische und armenische Volk bezogen, so wird er in den letzten 25 Jahren verallgemeinert und auf andere Gruppen ausgedehnt. Und zwar vorrangig in positiver Deutung. Auch Begriffe wie „Parallelgesellschaft, Multikulturalismus, Integration oder Migration“ befassen sich mit den Lebensumständen heutiger NomadInnen. Als „Masterkategorien“ verdecken sie aber die Veränderungen. Und gerade um die geht es den Forschenden.
Der Terminus Diaspora hat es zum Lebensmodell gebracht, das viele „Hoheitsgebietslose“ für sich reklamieren, etwa schwule, lesbische oder Transgender-Minderheiten. Etliche Fachleute beklagen heute die Inflation des Begriffs. Diese sei aber, so der Tenor des Buches, auch erhellend. Verweist sie doch auf eine wichtige Entwicklung: nämlich auf die Veränderung in der Art der Bindung.
Die Beiträge so unterschiedlicher AutorInnen wie Nermin Abadan-Unat, der Pionierin der Migrationsforschung, oder der Soziologin Saskia Sassen bis hin zum Autor Ilja Trojanow sind thematisch breit gefächert. Sie befassen sich mit den Veränderungen der Nation, der großen Städte und Europas, mit dem ästhetischen Exil oder damit, was es eigentlich heißt „wir“ zu sagen. Immer aber steht die Frage nach der Identität im Zentrum. Mehrfach wird die Frage gestellt: Integration – wohin? Eine Frage, welche die AutorInnen weder beantworten wollen noch können. „Aber nicht nur, weil es uns an Wissen von der eigenen Kultur, von der eigenen Gesellschaft mangelt, sondern in einem weitreichenderen Sinn: weil der nationale Herrensignifikant nicht mehr in dieser Art funktioniert.“ Die Eindeutigkeit der Nationalität ist passé. Sie lässt sich auch in Kursen über Staatsbürgerkunde nicht erfahren. Schon allein um zu erfahren, warum „Diaspora“ heute ein Schlüsselbegriff für Identifikations- und Identitätsprozesse ist, lohnt es, dieses Buch zu lesen.
Gabriele Müller
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