Wenn Einkommen und Verstädterung wachsen, steigt auch in Ländern des Südens der Fleischkonsum. Die Geographie der Fleischproduktion hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert.
Eines ist unbestreitbar: Quantitativ war die Mensch-Nutztier-Beziehung in den letzten Jahrzehnten ein voller Erfolg. Fast jedes Jahr wurden neue Produktionsrekorde erzielt, und noch nie zuvor wurden soviel Fleisch, Milch und Milchprodukte und Eier konsumiert wie heute. Die Versorgung der Menschheit mit tierischen Proteinen hat sich erheblich verbessert, und auch die Ungleichheit hat abgenommen: Während sich etwa am Fleischkonsum pro Kopf und Jahr in den reichen Ländern zwischen 1980 und 2011 kaum etwas änderte, hat er sich in den Entwicklungsländern mehr als verdoppelt – von 14kg auf über 32kg.
Im selben Zeitraum hat sich die Geographie der Produktion dramatisch verändert. Der Süden hat den Norden bei Fleisch und Eiern bereits überholt, und auch bei Milchprodukten handelt es sich nur um eine Frage der Zeit. Die größten Zuwächse wurden in Asien (China, Indien) erzielt, gefolgt von Lateinamerika (siehe Grafik) – kein Wunder, denn die Hauptfaktoren dieser Entwicklung sind laut der FAO, der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, neben dem Bevölkerungswachstum vor allem steigende Einkommen und die zunehmende Urbanisierung.
Dazu kamen technologische Entwicklungen, die eine Steigerung der Produktivität ermöglichten – nicht zuletzt die „industrielle Produktion“ mit Futtermitteln auf Basis von Soja, Mais, Gerste etc. (vulgo Tierfabriken). Definiert man Produktivität als Nahrungsmittelerzeugung pro Biomasse, entpuppt sich überraschenderweise Indien (mit einem Pro-Kopf-Fleischkonsum von etwas mehr als 4 kg pro Jahr) als vorbildlich – zwischen 1965 und 2005 stieg dort die Produktivität jährlich um 3,7%, gegenüber 2,8% in China und nur 1,6% in Brasilien.
Zum Merkmal der industriellen Produktion wurde, was die FAO als „Delokalisierung“ bezeichnet: Futtermittel lassen sich zukaufen, womit der Betriebsstandort unabhängig von lokalen Versorgungsquellen wird und in die Nähe der Absatzmärkte verlegt werden kann. Das spiegelt sich auch in einem zwar langsam steigenden, aber relativ geringen Anteil der weltweiten Exportmengen wieder: 2012 waren es bei Rind- und Geflügelfleisch etwa 12%, bei Schweinfleisch 6,7% (FAO-Schätzungen); bei Milchprodukten ist der Anteil etwas höher. International gehandelt werden stattdessen die Futtermittel (und natürlich auch Düngemittel und Energie), und damit verbundene Umweltkosten werden ins Ausland „ausgelagert“. Trotzdem haben sich auch im Handel die Positionen vertauscht: Seit 2003 sind die Entwicklungsländer Nettoexporteure tierischer Nahrungsmittel, der Norden hat nun eine eher ausgeglichene Handelsbilanz.
Eine damit verbundene Entwicklung: Die größten Zuwächse sind bei Geflügel- und Schweinefleisch zu verzeichnen (Geflügel könnte Schweinefleisch zudem bald von Platz 1 verdrängen), während die Rindfleischproduktion eher stagniert. Schweine, Hühner und anderes Geflügel konvertieren Futtermittel in höherem Ausmaß zu Fleisch als Wiederkäuer. Ein Nebeneffekt dieser an sich bloß rentabilitätsorientierten Strategie: die Fleischproduktion wird weniger treibhausgasintensiv (zumindest keine Methangasemissionen). Was nichts daran ändert, dass auch das FAO-Ranking der Länder mit den höchsten Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft der neuen Produktionsgeographie entspricht: 1. China 2. Indien 3. Brasilien 4. USA 5. Indonesien.
Ein letzter begünstigender Faktor für den historischen Erfolg bei der Produktion tierischer Nahrungsmittel ist noch zu nennen – ein Umfeld generell sinkender Agrarpreise. Damit ist seit den Preissprüngen am Weltmarkt in den letzten Jahren wohl nicht mehr zu rechnen.
Der FAO-Preisindex für Futtermittel (2002-2004 = 100) lag im 3. Quartal 2012 bei 260 – Futtermittel sind also 2,6-mal so teuer wie vor acht Jahren, während der Preisindex für Fleisch im Dezember mit 176 erheblich darunter lag. Woran das liegen könnte, ist leicht zu erraten: Weltweit herrscht Druck auf die Margen der Produzenten, wie die FAO in ihrer letzten Marktanalyse betont, und sie können die hohen Futtermittelpreise nicht zur Gänze weitergeben. Ein aktueller Grund dafür ist zweifellos die Nachfrageschwäche im Kontext der flauen Konjunktur in den reichen Ländern; ein genereller Grund ist die bestehende Marktasymmetrie, d.h. die oligopolistische Struktur der Abnehmer der Produktion, also des Einzelhandels oder der Verarbeitungsbetriebe wie etwa der Molkereien (worüber sich auch in Österreich Bauernverbände regelmäßig beschweren).
Kurzfristig dürfte sich die Situation kaum ändern – die FAO erwartet keine wesentlichen Preissenkungen bei Futtermitteln im kommenden Jahr, und der Einzelhandel wird insbesondere in den reichen Ländern, mit im Schnitt stagnierenden oder nur wenig steigenden Realeinkommen, alles daran setzen, die Preise zu halten. Übrigens wohl auch mit dem stillschweigenden Placet der Regierungen, denn in Zeiten der Nachfrageschwäche sind steigende Nahrungsmittelpreise das Letzte, was man braucht. Das gilt auch für Entwicklungsländer. Als im Sommer 2011 in China die Schweinefleischpreise auf Rekordwerte stiegen und die Inflation auf ein Dreijahres-Hoch trieben, herrschte Alarmstimmung, und die Regierung reagierte u.a. mit dem Verkauf von Lagerbeständen und Subventionen.
Anhaltender Margendruck wird die weitere Konzentration auf Anbieterseite vorantreiben – also die Verdrängung „ineffizienter“ Produktionen, ein auch als „Bauernsterben“ bekanntes weltweites Phänomen, für das immer wieder insbesondere die Liberalisierung des Agrarhandels verantwortlich gemacht wird – vielleicht nicht unbedingt zu Recht.
Tatsächlich können sich gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) Produzenten, die ihre niedrigen Preise beispielsweise nur halten können, weil sie hohe Umweltkosten auf die Allgemeinheit überwälzen, am Markt auf Kosten nachhaltig geführter Betriebe durchsetzen. Unter einem solchen Generalverdacht (insbesondere Klimakosten) stehen u. a. brasilianische Fleischproduzenten. Deshalb kann auch der Schritt Brasiliens, die WTO wegen Anti-Dumping-Maßnahmen gegen brasilianische Hühnerfleischexporte durch Südafrika anzurufen, als zumindest unanständig empfunden werden (siehe SWM 10/ 2012, S.19).
Fakten
Von 1980 bis 2007
- hat China die Fleischproduktion versechsfacht
- hat Brasilien die Fleischproduktion vervierfacht
- hat Indien die Milchproduktion mehr als verdreifacht.
2010
- war China weltgrößter Fleischproduzent (27,3%), u.a. mit knapp der Hälfte der Schweinefleischproduktion
- war China größter Eierproduzent (40,5%)
- war Indien weltgrößter Milchproduzent (17%)
- war Brasilien der führende Exporteur von Rindfleisch und Geflügel.
Zweifellos: Umwelt- und andere externe Kosten müssen in die Agrarpreise integriert werden, um weitere Fehlentwicklungen zu verhindern, was auch die FAO für dringendst geboten hält. Die WTO ist auf diesem Auge blind: Handelsmaßnahmen sind nur in Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Produkts zulässig, nicht aber in Zusammenhang mit der Art seiner Herstellung. Im Agrarhandel existiert lediglich das Abkommen über Sanitäre und Phytosanitäre Maßnahmen (SPS), wonach in Fragen der Lebensmittelsicherheit oder bei Auftreten potenziell epidemischer Krankheiten wie Vogelgrippe, Schweinegrippe, Maul- und Klauenseuche etc. Einfuhrverbote verhängt werden können. Im Dezember etwa stoppte Japan alle Rindfleischeinfuhren aus Brasilien, da ein bereits zwei Jahre zurückliegender Fall von Rinderwahnsinn bekannt wurde.
Nur können die WTO-Regeln nicht besser sein als Regeln auf nationaler Ebene, und gerade dort tut sich in Sachen Integration externer Kosten kaum etwas.
Darüber hinaus haben sich die meisten Entwicklungsländer im Rahmen der WTO einen großen Spielraum zum Schutz der eigenen Agrarproduktion gesichert: Die „gebundenen Zölle“ (die sie nicht überschreiten dürfen) liegen im Allgemeinen weit höher als die tatsächlich eingehobenen. Selbst bei den tatsächlich eingehobenen Einfuhrzöllen war Indien zumindest noch 2007 mit durchschnittlich 60% Spitzenreiter. In Afrika liegen die Zölle im Schnitt zwar weit darunter, aber eine Studie zu Westafrika von 2011 legt nahe, dass die Förderung der eigenen Agrarproduktion in der Region weniger an den äußeren Rahmenbedingungen scheitert als an internen Prioritäten – insbesondere der „urbanen Schlagseite“ der politischen Eliten. Billige Nahrungsmittel zu importieren ist sicherlich weit einfacher. Durchaus möglich, dass die ärmsten Entwicklungsländer (LDC) auch deshalb zusehends zu Nettoimporteuren tierischer Nahrungsmittel werden.
Robert Poth lebt als freier Übersetzer und Journalist in Wien. Im Web: rpoth.at, rpoth.at/blog
Quellen: FAO, The State of Food and Agriculture – Livestock in the balance, 2009 FAO, Food Outlook November 2012 Catherine Laroche Dupraz, Angèle Postolle: Food sovereignty and agricultural trade policy commitments: How much leeway do West African nations have?, Rennes, August 2011, www6.rennes.inra.fr/smart/Media/Working-papers/WP11-03
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