Waffen fallen lassen

Von Bettina Rühl · · 2013/03

Die Tuareg in Niger haben Angst vor dem Übergreifen der Gewalt aus Mali. Sie hoffen, dass sich ihr Leben zum Besseren wendet – ohne Krieg.

Die Erde ist schwer und immer noch schlammig. Sie klebt an der Hacke, mit der Mohammed Kouda den Boden lockern will. Er und sein Bruder Kola sind zu Aufräumarbeiten in ihren Garten gekommen, den eine schwere Überschwemmung verwüstet hat. Die beiden Brüder leben in dem Dorf Iferouane, im Aïr-Gebirge in Niger. Wenn es noch einmal regnet, könnte die ganze Ernte verloren gehen, fürchtet Kouda. Das wäre nicht das erste Mal, denn mit dem Klimawandel wechseln sich Dürre und Überschwemmungen ab, immer öfter wird eine ganze Ernte zerstört. Da ist es nicht immer einfach, dem Anbau von Gemüse treu zu bleiben. Noch dazu für einen wie Mohammed Kouda. Der 40-Jährige hat sich an zwei Rebellionen der Tuareg im westafrikanischen Sahelstaat Niger beteiligt. Jetzt wird in der Region wieder gekämpft: Im Nachbarland Mali erhoben sich die Tuareg im Frühjahr 2012 ein drittes Mal. Aber statt erneut zur Waffe zu greifen, fürchtet Kouda diesmal geradezu, dass der Krieg auf Niger übergreift. „Ich glaube nicht mehr, dass der Krieg eine Lösung bringt“, sagt er, während er durch seinen verwüsteten Garten geht und die Schäden inspiziert. „Die Bevölkerung zahlt jedes Mal einen hohen Preis. Und bei uns hat sich noch durch keinen Krieg etwas zum Besseren verändert.“

Die nomadisch lebenden Tuareg, die in Niger etwas über 9% der Bevölkerung ausmachen, erhoben sich schon zwei Mal zur gleichen Zeit wie die Tuareg im benachbarten Mali: von 1990 bis 1995 und erneut von 2007 bis 2009. Aber bei dem letzten Aufstand der malischen Nomaden im Frühjahr 2012 schlossen sich die Nigrer nicht an. Vorerst nicht, wie manche NigrerInnen fürchten. Denn in Mali begann mit der jüngsten Rebellion eine schwere politische Krise, die trotz militärischer Erfolge von französisch-afrikanischen Truppen noch nicht beigelegt ist.

Viele BeobachterInnen nehmen an, dass jetzt die schwerste Etappe beginnt: ein Guerillakrieg im lebensfeindlichen Umfeld der Wüste Sahara, die den Norden Malis bedeckt. Und Mohammed Kouda hat Angst, dass die Mitglieder der „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQMI), der „Bewegung für Einheit und Heiligen Krieg in Westafrika“ (MUJAO) und der Ansar Dine („Verteidiger des Glaubens“) vor dem militärischen Druck in Mali einfach über die durchlässigen Grenzen in die Nachbarländer ausweichen. Zum Beispiel nach Niger. „Das ist eine reale Gefahr“, meint der ehemalige Rebell. Und er fürchtet nicht nur die flüchtenden Islamisten aus Mali. „Der Niger ist von Ländern umgeben, die politisch instabil sind. Im Norden liegt Libyen, aber Libyen ist explodiert, es existiert nicht mehr. Im Westen haben wir das Problem mit Mali. In Nigeria im Süden haben wir die islamistische Sekte Boko Haram.“ Seit dem Zusammenbruch Libyens zirkulieren in der Region jede Menge Waffen. „Es ist ganz einfach, sich eine zu beschaffen“, meint der Gärtner und Ex-Rebell.

Kouda gab nach einem Waffenstillstand 2009 seine Kalaschnikow ab. Die Regierung versprach ihm und 4.000 anderen Tuareg-Kämpfern eine Zukunft, wenn sie friedlich leben. „Aber das war ein leeres Versprechen“, sagt Kouda. „90 Prozent der ehemaligen Kämpfer haben nichts und nichts zu tun. Wir alle überleben irgendwie, aber einfach ist das nicht.“

Ein paar Kilometer von Koudas Garten entfernt, im Zentrum des Dorfes Iferouane, scheppert eine Mischung aus traditioneller und moderner Musik über den staubigen Dorfplatz. Immer mehr Menschen kommen zusammen. Sie wollen an einer Versammlung teilnehmen, zu der die nigrische Hilfsorganisation HED Tamat („Mensch Umwelt Entwicklung“) eingeladen hat. HED Tamat nennt diese Versammlung „Forum für Frieden und Entwicklung“. Sie organisiert solche Foren in allen größeren Siedlungen der Tuareg im Norden von Niger.

In Iferouane findet das Treffen in einem Lehmbau im Zentrum des Dorfes statt. „Wir wollen eine weitere Rebellion der Tuareg in Niger verhindern“, sagt Mano Aghali, selbst ein Tuareg und Präsident von HED Tamat, zu den Zielen der Veranstaltung. „Wir haben begriffen, dass die Bevölkerung immer am meisten leidet.“ Aghali gehörte beim ersten Tuareg-Aufstand in den 1990er Jahren zum politischen Flügel der Rebellen im Niger. An der zweiten Rebellion von 2007 nahm er nicht mehr teil, weil er die politischen Gründe für vorgeschoben hielt. „In Wirklichkeit ging es um die Kontrolle von Routen für den Drogenschmuggel und andere kriminelle Machenschaften.“ Ganz so, meint er, wie jetzt in Mali. Der 46-jährige Aghali studierte Wirtschaftswissenschaften und saß von 2004 bis 2009 im nigrischen Parlament. Er ist davon überzeugt, dass es in der nigrischen Demokratie und dank der Ergebnisse der ersten Tuareg-Rebellion möglich ist, auf politischem Weg gegen bestehende Ungerechtigkeiten zu kämpfen.

Auf den Plastikstühlen in dem Lehmbau sitzen mittlerweile Frauen, die festlich gekleidet sind und sich mit originell gewickelten Kopftüchern geschmückt haben. Drei der Anwesenden haben sich besonders in Schale geworfen: Die drei Musikerinnen aus dem Gefolge des Sultans von Agadez tragen Kleider aus glänzendem, dunklen Indigostoff und sind reich mit Goldschmuck behängt. Auch die Männer im Publikum sind traditionell gekleidet, mit langen Gewändern und dem Turban der Tuareg. Im Publikum sitzen ehemalige Rebellen, Frauen, arbeitslose Jugendliche. Trotz der drückenden Nachmittagshitze sind alle bei der Sache. Rhissa Ag Boula, ehemaliger Tourismusminister und derzeit Berater des nigrischen Präsidenten, schlägt sie mit seiner Rede geradezu in den Bann. „Lasst Euch von Al-Qaida nicht täuschen“, sagt Ag Boula. „Die Islamisten versprechen euch vielleicht viel Geld, wenn ihr euch ihnen anschließt und für sie kämpft. Aber am Ende unterwerfen sie euch ihrer Gewalt.“ Vor allem die jüngeren Leute sollten sich vorstellen, was geschehe, wenn künftig auch im Niger allen Dieben eine Hand und ein Bein abgehackt werde. „Wir würden eine Gesellschaft von Behinderten. Wer sollte die alle ernähren?“

Ag Boula ist eine schillernde Figur. Er hat selbst bei beiden Rebellionen in Niger mitgekämpft und ist für seine deutlichen Worte bekannt. Zum Abschluss seiner kurzen Rede lädt er das Publikum ein, sich ohne Tabus mit Fragen und Kritik zu äußern.

Ein junger Mann lässt sich das Mikrofon geben und beschreibt, was nach ihm noch viele andere in ähnlichen Worten ausdrücken werden: „Wir haben nichts. Wir leben in einer katastrophalen Situation.“ Die Regierung kündige seit langem immer wieder an, Arbeit und Beschäftigung zu schaffen. „Aber das sind leere Versprechen.“ Niger ist in der Armutsskala der Vereinten Nationen eines der ärmsten Länder der Welt, trotz der reichen Uranvorkommen, die von Tochterunternehmen des französischen Staatskonzerns AREVA seit vierzig Jahren ausgebeutet werden. Die Menschen der Region klagen über seltsame Krankheiten, über den sinkenden Grundwasserspiegel, über Schäden für die Umwelt. AREVA und die Partner des Konzerns erklären alles für unbedenklich. Zur Zeit ist AREVA dabei, in der Region Agadez bei dem Dorf Imouraren die zweitgrößte Uranmine der Welt zu erschließen. Für Imouraren seien schon 190 Arbeitskräfte ausgebildet worden, versucht Ag Boula das Publikum zu beschwichtigen. Die Bergbauunternehmen hätten der Regierung versprochen, Arbeitsplätze auch für Menschen aus der Region zu schaffen. Wieder meldet sich einer aus dem Publikum. „Ich habe bei AREVA schon vor fünf Jahren so eine Ausbildung gemacht und seitdem nichts mehr von dem Unternehmen gehört.“ Ag Boula bittet um Geduld. Die Regierung werde selbst in der Region Agadez 300 kommunale Polizisten ausbilden, und die Armee sei auf der Suche nach Rekruten. Mano Aghali sagt weitere 290 Ausbildungsplätze zu, finanziert von HED Tamat.

Am Abend sitzt Aghali auf einem Teppich im Sand, über sich den klaren Sternenhimmel des Südens. Er ist mit der Debatte des Nachmittags zufrieden. Es sei eine wichtige Geste, dass der Präsident von Niger seinen Berater zu dem Treffen entsandt hat. Mit der Idee solcher „Friedensforen“ trägt sich Aghali seit langem, aber erst im vergangenen Jahr erhielt HED Tamat von Care Deutschland/Luxemburg und dem Auswärtigen Amt von Deutschland das dafür nötige Geld. Die Versammlungen bekamen durch die Ereignisse in Mali eine dramatische Aktualität. Für junge Leute könnte vor allem jenes Gerücht verlockend sein, dass die islamistischen Milizen ihren Kämpfern im Monat zweihundert Dollar als „Sold“ zahlen würden. Der Druck, in Niger wirklich Arbeit zu schaffen und nicht nur von künftigen Arbeitsplätzen zu reden, wird immer größer. 

Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi. Kürzlich besuchte sie Niger.

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