„Kriege werden verschwinden“

Von Lydia Matzka · · 2000/11

Johan Galtung feierte am 24. Oktober seinen 70. Geburtstag. „Wie die UNO „, erzählt der bekannte Friedens- und Konfliktforscher mit einem verschmitzten Lächeln. Der gebürtige Norweger ist nirgendwo und überall zu Hause und reist lieber mit Zügen als mit Flugzeugen quer durch Europa, um seine Vorträge und Workshops zu halten. SÜDWIND-Redakteurin Lydia Matzka traf ihn in Angerberg, einem kleinen Tiroler Dorf bei Wörgl*, um mit ihm über Frieden, Konflikt und Gewalt zu sprechen.

SÜDWIND: Sie sind einer der Gründerväter der Friedens- und Konfliktforschung. Glauben Sie, wird es jemals Frieden auf der Erde geben?

Galtung: Das ist eine ähnliche Fragestellung wie „wird es Gesundheit geben?“. (lacht) Es wird immer Unfrieden und Krankheiten geben. Aber ich bin fest überzeugt, dass wir es viel besser als heute haben könnten. Eine Quelle für Optimismus ist für mich, was mit Sklaverei und Kolonialismus geschehen ist. Das waren Institutionen, die so verankert waren wie der Krieg. Und sie sind jetzt verschwunden. Ich glaube, auch der Krieg wird verschwinden.

Verschwinden…?

Ja. Aber das heisst nicht, dass sich nicht neue Formen von Gewalt entwickeln können.

Das heisst, der neue Friede ist Abwesenheit von Gewalt?

Mmm, ja, diese Definition paßt, wenn man Gewalt nicht nur als physische Gewalt sondern auch als kulturelle und strukturelle Gewalt versteht. Für mich ist Friede die Fähigkeit, mit Konflikten gewaltlos und schöpferisch umzugehen. Man sollte wissen, wie man mit Konflikten umgeht. Das ist – um bei der Krankheitsmetapher zu bleiben – wie Hygiene. Man erforscht Krankheiten und verlängert die Lebenserwartung um 100 Prozent. Statt 40 Jahre leben wir heute durchschnittlich 80 Jahre. Das heisst aber nicht, dass man auch vom Sterben befreit ist. Ewige Gesundheit gibt es nicht. Aber wir schaffen es besser als früher, mit Krankheiten umzugehen. Das selbe gilt für den Krieg.

Wo sehen Sie heute die größten Konfliktlinien?

Es gibt vier wichtige Konfliktlinien: Erstens eine Konfliktlinie zwischen Arm und Reich, ausgelöst durch die Gewalt im ökonomischen System. 100.000 Menschen sterben täglich an Hunger. Zweitens könnte die Bestrebung der USA nach Welthegemonie einen Krieg auslösen. Als dritter Punkt ist das Problem zu nennen, dass wir 200 Staaten und 2.000 Nationen haben. Jede Nation möchte gerne einen eigenen Staat haben, doch die Staaten sind nicht bereit, das zu tolerieren. Viertens gibt es einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen, der zunehmend problematischer wird. Es gab ja einen 200-jährigen Krieg, nämlich die Kreuzzüge. Das Christentum hält immer noch seine Kriegserklärung aufrecht. Hier bräuchte es eine Friedenserklärung.

Diese vier Konflikte sind grausam, aber es gibt für alle vier Lösungen.

Und wo liegen diese Lösungen?

Nehmen wir an, alle 2 Millionen Gemeinden auf der Erde wären imstande, sich selbst zu versorgen. Subsistenzwirtschaft sichert das Überleben der Menschen insofern, als sie wenigstens nicht an Hunger sterben müssen. 100.000 Menschen sterben täglich, weil sie nichts zu essen haben. Und es gibt Millionen, die in der Nähe dieser Menschen leben. Sie werden sich wehren. Es könnte zum Beispiel Völkerwanderungen geben, die die reichen Staaten natürlich abwehren. Da könnte es zu Gewalt kommen. Die Minimallösung ist die lokale Selbstversorgung. Die Staaten haben nämlich meistens versagt, die Gemeinden nicht.

Was die Hegemonialbestrebung der USA betrifft: Es werden sich Gegenkräfte formieren und zwar stärker innerhalb der USA als außerhalb. Alle Imperien gehen zu Ende. Noch haben die USA eine große Macht und sind imstande, einen riesen Krieg auszulösen. Ich meine damit aber keinen Krieg der Zivilisationen, von dem Huntington (Anm. Samuel P. Huntington „Kampf der Kulturen“, Europa Verlag,Hamburg 1997.) spricht, nein es könnte einen Krieg der Kontinente geben, zwischen den USA und Eurasien.

Der Konflikt zwischen Nationen und Staaten ist sehr kompliziert, aber es gibt auch hier Lösungen, zum Beispiel den Zusammenschluss zu Konföderationen und Föderationen. Denken wir an Südafrika, da leben eine Menge verschiedener Menschen wie Inder, Zulus, Niederländer, Engländer gemeinsam in einem Staat. Ihr Zusammenleben funktioniert gar nicht so schlecht. Kriminalität gibt es, aber die wird durch das ökonomische System verursacht, nicht durch das politische.

Kann Entwicklungszusammenarbeit einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten?

Im Allgemeinen nicht, glaube ich. Die Entwicklungszusammenarbeit, die wir kennen, ist eine Einbahn. Da gibt es ein Land, das die Kredite und die Technologien gibt, und ein Empfängerland. Die Bedingung für eine friedliche Entwicklung aber wäre Reziprozität. Entwicklungshilfe ist eine Spiegelung der westlichen Arroganz und deshalb überhaupt nicht friedensschaffend.

Die meisten Konflikte, über die in den Medien berichtet wird, spielen sich in den Ländern des Südens ab. Warum ist das so?

Die Medien machen immer den selben Fehler: Sie verwechseln Konfliktarena mit Konfliktformation. Konflikte werden zwar in der so genannten Dritten Welt ausgetragen, die Konfliktparteien sitzen jedoch zum Beispiel in London und Washington. Dort befinden sich die Drahtzieher.

Werden Kriege immer aus wirtschaftlichen Gründen geführt?

Nein, nicht immer. Ein viel wichtigerer Faktor ist die Arroganz gewisser Länder. Sie wollen die Weltherrschaft ausüben und Entscheidungen treffen. Damit meine ich insbesondere die USA und Großbritannien.

Warum scheitern Friedensinitiativen eigentlich so oft?

Konflikte enstehen, weil es unterschiedliche Zielsetzungen gibt und Menschen werden immer Ziele haben. Allerdings gibt es kein Naturgesetz, dass ein Konflikt gewaltsam ausgetragen werden muss. Eine Hauptursache für Gewalt ist das Fehlen an Verständnis. Ich habe persönlich in 43 Konflikten vermittelt. In Gesprächen mit Konfliktparteien oder Präsdidenten bin ich immer wieder verblüfft, wie wenig Spitzenpolitiker eigentlich über Konflikte Bescheid wissen. Deshalb sehen sie auch so wenige Lösungen.

Ist Friede erlernbar?

Ja, das ist er. Es ist sogar relativ unkompliziert, Frieden zu erlernen.

Aber es gibt trotzdem Konflikte auf der Welt (wie zum Beispiel in Ruanda und Burundi), die nicht lösbar erscheinen , weil die Fronten so verhärtet sind.

Ich kenne keinen Konflikt, der nicht lösbar ist. Ich weiß nicht, ob ich die Lösung finde, aber ich bin bereit, dazu zu arbeiten.

Wie beurteilen Sie die Lösung von Konflikten mittels Wahrheitskommissionen?

Das ist eine ausgezeichnete Methode, weil die Wahrheit herauskommt. Der Verantwortliche für die Gräueltaten kann seine Motivation nennen und erklären. Wenn dann die Opfer sich bereit erklären, die Täter zu verstehen, dann ist das der Anfang für Frieden. Das wurde in Südafrika ja meisterhaft gemacht.

Welche Rolle spielen dabei Nichtregierungsorganisationen (NGOs)? Denken wir nur an den Widerstand gegen IWF und Weltbank in Seattle, Washington und Prag.

NGOs werden als politische Akteure im 21. Jahrhundert eine grosse Bedeutung haben. Sie müssen allerdings ihre Gewalttätigkeit noch besser kontrollieren und Alternativen für das Kritisierte vorbereiten. Das System ist so absurd, damit kann man nicht auf Dauer leben.

Vielen Dank für das Gespräch.


Johan Galtung hielt in Angerberg seinen Vortrag „Über die Gewalt des Zusammenhangs – strukturelle und kulturelle Ursachen“ im Rahmen einer viertägigen Veranstaltung der Grünen Bildungswerkstatt.

Seine Transcend-Methode lehrte Johan Galtung Ende Oktober bei einem Wochenendseminar in Wien. Nähere Information zum Thema Konflikttransformation mit friedlichen Mitteln unter: http://www.transcend.org

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