Die unkontaktierten Völker in den Regenwäldern von Brasilien und Peru werden von Goldgräbern, Holzfällern und durch Infrastrukturprojekte bedroht.
Beunruhigende Nachrichten aus Jordão im brasilianischen Bundesstaat Acre. Der indigene Verein ASKARJ (Associação de Seringueiros Kaxinawa do Rio Jordão) meldete Ende September Unruhen in den Regenwäldern Brasiliens und Perus. Unkontaktierte Völker sind in Gefahr, von Gewalt und Vertreibung ist die Rede. Bereits zwei Monate zuvor hatte die Abteilung der brasilianischen Indianerschutzbehörde FUNAI zum Schutz unkontaktierter Völker die Invasion paramilitärischer peruanischer Gruppen in Acre gemeldet.
Am Fluss Jordão lebt das Volk der Kaxinawa. Die Huni Kuin (die echten Menschen), wie sie sich in ihrer eigenen Sprache nennen, bilden die größte Gruppe unter den 14 indigenen Völkern Acres. Sie konnten nach der Assimilierung vergleichsweise viel von ihrem Kulturgut erhalten. Die ersten Huni Kuin wurden bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts kontaktiert. Um Gewalt und Zwangsarbeit zu entkommen, flohen damals viele in die dichten Wälder des Amazonas. Sie werden heute von den Huni Kuin liebevoll als „isolierte Verwandte“ bezeichnet. Ab und zu tauchen sie nach wie vor in ihren Dörfern auf. Häuptling Siä setzt sich seit Beginn seines Amtes 2000 für die Rechte von unkontaktierten Völkern in der Region ein. Das politische Oberhaupt der rund 2.000 Huni Kuin erinnert sich: „Früher nahmen sie alles, was sie finden konnten, Töpfe, Kleidung, Hängematten, sogar unsere Hühner und Hunde. Manchmal schossen sie Pfeile nach uns, weil sie dachten, wir wären ihre Feinde. Wir haben uns nie dafür gerächt. Von da an begannen sie uns zu respektieren und bedienten sich nur noch gelegentlich in unseren Gemüsegärten.“
Seit Mitte des Vorjahres spitzt sich die Situation in dem Gebiet zu. Die Vertreibung unkontaktierter Völker durch illegale Holzfällerbanden, Drogenschmuggler und Bergbaukonzerne, die von Peru in brasilianisches, indigenes Territorium eindringen, stellt eine unmittelbare Bedrohung für die Existenz dieser Menschen dar.
Auf der Suche nach Rohstoffen und Bodenschätzen kommen die Eindringlinge in die Nähe der Hütten der „Isolados“. Diese flüchten dorthin, wo es keinen Maschinenlärm und keine Motorengeräusche gibt – an die Oberläufe der vier Flüsse Jordão, Purus, Envira und Tarauaca. Die Bewohner des letzten Dorfes am Jordão, Novo Segredo, verließen im September vorübergehend ihre Siedlung. „Von unserem Land aus waren im Wald die Schüsse der peruanischen Besatzer zu hören“, erzählt ein Bewohner.
Es ist schwer, die bewaffneten Holzfällerbanden ausfindig zu machen. Sie schlagen die Bäume im Hochsommer und lassen die Stämme bis zur nächsten Regenzeit dort liegen. Dann lassen sie sie flussabwärts treiben. Die Holzfällercamps befinden sich im dichten Regenwald der Grenzregion. „Weil es keine Überwachung und Kontrollen gibt, schlagen sie Edelhölzer überall. Die Trupps bestehen aus bis zu 40 bewaffneten Männer. Sie schießen auf die isolados, diese verlassen dann ihre Dörfer und flüchten in unser Land, weil sie sonst keine Zuflucht mehr haben“, berichtet der Präsident von ASKARJ.
Indigene Rechte und Ökologie
Die Ethnologin Susanna Eisenhut rief kürzlich in Wien die Arbeitsgruppe „Indigene Völker“ ins Leben, eine multidisziplinäre Forschungsgruppe zur Erarbeitung von nachhaltigen Lösungen und gemeinsamen Strategien zum Schutz indigener Völker in freiwilliger Isolation. Ziel ist ein internationaler Schulterschluss – die Vernetzung und Kommunikation lokaler, indigener Vereine und Initiativen mit internationalen AkteurInnen und Organisationen aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Forschung. Die Arbeitsgruppe ist in Österreich in die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ eingegliedert.
Kontakt: indigenevoelker@gfbv.at
Nächstes Treffen der Arbeitsgruppe am 16. Februar 2012, 15 Uhr in 1030 Wien, Untere Viaduktstr. 53/7a (bei GfbV).
Das Phänomen der Vertreibung ist relativ neu. Seit 2009 flüchten isoliert lebende Völker aus Peru zunehmend in die indigenen Territorien anderer Ethnien in Brasilien. Ihr Lebensraum schwindet, der Platz ist begrenzt. Im Kampf um Nahrung, Trinkwasser und Rohstoffe sind Konflikte mit benachbarten Völkern nicht auszuschließen.
„Wir sind nicht vorbereitet auf solch eine Situation“, erklärt Häuptling Siä. Die Huni Kuin haben bereits eine Fläche von 30.000 Hektar ihres Territoriums freigegeben, auf der nun ihre unkontaktierten Nachbarn durchziehen und jagen dürfen. „Die Existenz dieser Völker und ein friedliches Zusammenleben ist jetzt und in Zukunft von großer Bedeutung für uns. Wir selbst haben unsere Heilkunde und unser traditionelles Wissen bereits teilweise verloren.“
Zwischen den beiden Aufnahmen liegen vier Jahre. Es zeigt ungefähr denselben Ausschnitt des Lebensraums der Ayoreo in Paraguay. Die auf dem rechten Bild sichtbaren Rodungen dienen der Errichtung von Viehzuchtfarmen für den Fleischexport.
Die Huni Kuin haben in der Vergangenheit schon mehrmals die Untätigkeit der Regierungen in dieser Angelegenheit kritisiert. Kontrollüberflüge seien nicht genug, meint Siä. Unkontaktierte Gesellschaften sind sehr verletzlich. Der Kontakt kann für sie tödliche Krankheiten wie Grippe oder Masern bringen.
Die Huni Kuin wünschen sich eine starke internationale Partnerschaft zum Schutz unkontaktierter indigener Gemeinschaften ohne die Einmischung wirtschaftlicher und politischer Machtinteressen. Dazu braucht es politischen Willen, die nötige Infrastruktur, logistische und finanzielle Unterstützung, technisches Equipment und Know-how. Mittels Funkradio und Satellitenüberwachung sollen die Aktivitäten in der schwer überschaubaren Grenzregion kontrolliert und Invasion, Gewalt und Raubbau unterbunden werden.
Der natürliche Lebensraum unkontaktierter Völker im Amazonasbecken ist derzeit akut bedroht durch Rohstoffkonzerne der Holz-, Bergbau- und Erdölindustrie. Nicht nur illegale Holzfäller, Goldsucher und Drogenschmuggler – auch der Straßenbau der IIRSA (Straßenverbindung nach Pucallpa in Peru) und Megainfrastrukturprojekte wie der Staudamm Belo Monte gefährden die Lebensgrundlagen dieser Völker.
Der Schutz indigener Rechte und die Sicherung der Lebensräume sind zentrale Punkte für ihr Überleben. Besondere Bedeutung kommt der Demarkierung neuer und der Erweiterung bzw. Zusammenlegung bestehender indigener Territorien zu. Indigene Vertreter und Nichtregierungsorganisationen fordern die Einhaltung von Land- und Menschenrechten im Rahmen der ILO-Konvention 169 und der UN-Deklaration der Rechte indigener Völker von 2007. Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ plant heuer eine groß angelegte Kampagne zum Thema „Unkontaktierte Völker“.
Susanna Eisenhut studierte in Wien Internationale Entwicklung mit Schwerpunkt Indigene Rechte und Sozialökologie. Seit 2011 ist sie als Beraterin für den indigenen Entwicklungsverein ASKARJ tätig. Derzeit lebt und arbeitet sie als freie Publizistin in Wien.
Die Menschenrechtsorganisation Survival International setzt sich für den Schutz unkontaktierter Völker und ihres Landes ein, um ihnen die Chance zu geben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.
Mehr Informationen zu unkontaktierten Völkern und Aktionsmöglichkeiten finden Sie auf www.survivalinternational.de/kampagnen/unkontaktierte-voelker
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