Die Grameen Bank und ihr Gründer Muhammad Yunus haben im vergangenen Oktober den Friedensnobelpreis erhalten. Ungeachtet dieser Auszeichnung führt das Mikrokredit-System vielmehr zu weiterer Verarmung, kritisiert der NGO-Aktivist aus Bangladesch Khorshed Alam.
Die Grameen Bank zählt heute in Bangladesch sieben Millionen KundInnen, 97% davon Frauen. Aber was sagen uns Statistiken nach Jahrzehnten der Armutsbekämpfung in Bangladesch? Fast 70 Millionen Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von 150 Millionen – leben weiterhin unter der Armutsgrenze, fast 40 Millionen in extremer Einkommensarmut. Die von der Vision von Professor Yunus inspirierten und von der Grameen Bank und anderen NGOs realisierten Mikrokredit-Initiativen waren nicht so erfolgreich, wie rund um die Welt behauptet wird. Die Mikrokredit-Konditionen in Bangladesch sind unflexibel und mit den verpflichtenden wöchentlichen Rückzahlungen und Spareinlagen im Allgemeinen zu restriktiv, um den KreditnehmerInnen eine freie Entscheidung über die Verwendung solcher Kredite zu ermöglichen.
Der effektive Zinssatz, den die Grameen Bank einhebt, liegt zwischen 30 bis 40% (manche sagen 30-60%). Unter den Armen gibt es daher immer mehr säumige SchuldnerInnen, die gezwungen sind, woanders neue Kredite zu höheren Zinsen zu nehmen. Besorgniserregend ist, dass die Mitgiftzahlungen in den Familien von 82% der Kreditnehmerinnen zugenommen haben, seit sie Kundinnen der Grameen Bank wurden. Die Mitgiftforderungen werden höher, da scheinbar vermutet wird, Familien mit Mikrokrediten könnten mehr Mitgift zahlen als andere.
Die erste Rate muss zumeist eine Woche nach Erhalt des Kredits bezahlt werden. Binnen einer Woche lässt sich kein Einkommen erzielen, außer vielleicht durch kleine Ein- und Verkaufsgeschäfte. Nur wenige Prozent der KundInnen der Grameen Bank konnten ihre Situation mit Hilfe von Mikrokrediten verbessern, und zwar jene, die auch andere Einkommensquellen hatten. 50 Prozent der KundInnen erzielten keine Verbesserung, konnten ihre Position aber nur halten, indem sie bei mehreren Stellen Kredit nahmen. Für rund 45 Prozent verschlechterte sich die Lage sogar.
Dass Frauen die überwiegende Mehrheit der Mikrokredit-KundInnen ausmachen, gilt als einer der größten Erfolge der Grameen Bank und anderer Mikrokredit-Organisationen. Aufgrund der patriarchalischen Verhältnisse war aber meistens – in nicht weniger als 80 Prozent der Fälle – ein Mann der tatsächliche Nutznießer des Kredits. In vielen Gebieten betreuen die Grameen Bank und andere Mikrokreditgeber inoffiziell die wirklichen Kunden, die Männer.
Jedenfalls scheint Skepsis angebracht, ob „Zugang zu Kredit“ mit „Empowerment“ gleichzusetzen ist. Auch wenn ein Kredit einer Kundin mehr Spielraum im Privatleben verschafft und ihre soziale Mobilität erhöht, ist doch auf die Grenzen zu verweisen. Kredit ermöglicht Frauen jene Erwerbstätigkeiten, die sie bereits gewohnheitsmäßig ausüben; insofern kann er keine Mobilität von Frauen bewirken, die darüber hinaus geht. Außerdem benutzen viele männliche Familienangehörige Frauen, um an Geld heranzukommen. Hier wird der Kredit zu einer anderen Form der Mitgift.
Mikrokredite von Grameen sind eine Schuldenfalle, in der 80% der KundInnen gefangen sind. Die Frauen leihen Geld von einem Mikrokreditgeber, um einen anderen zu bezahlen, und das geht endlos so weiter. Kredit allein kann Menschen nicht aus der Armut befreien, er wird sie eher in die Verschuldung treiben. Der Hauptgrund für dieses Scheitern sind die hohen Zinssätze und die hohen operativen Kosten des Grameen-Bank-Modells. Die Grameen Bank kann die Armut entgegen den Behauptungen nicht wesentlich verringern, weil ihr Mikrokreditsystem unrealistische und überhöhte Zinsen erfordert und deshalb zu keiner nachhaltigen menschlichen Entwicklung führen kann. Es ist offensichtlich, dass die meisten KundInnen den Kredit für laufende Ausgaben verwenden und nicht für Erwerbstätigkeiten.
Im Gegensatz zu diesem allgemeinen Effekt auf die MikrokreditnehmerInnen im Land ist die Kreditvergabe für die daran beteiligten NGOs ein ziemlich lukratives Geschäft. Die Grameen Bank ist zwar keine NGO, sondern laut ihrem Statut eine Organisation der MikrokreditnehmerInnen. Kritisiert wird jedoch, dass die Entscheidungen dieser Bank nur am Rande von ihren Mitgliedern, tatsächlich aber von ihrer obersten Führung kontrolliert werden – in letzter Instanz vom „Führer“.
Tatsache ist andererseits, dass die ländliche Ökonomie durch die Mikrokredite Impulse bekommen hat. Einige Fragen stellen sich jedoch: Warum führt das nicht zu einer signifikanten Reduzierung der Armut? Warum ziehen trotz des großen „Erfolgs“ der Mikrokredite weiter verarmte Menschen in die Städte? Und warum steigt die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze, während die Mikrokredite expandieren?
Armut hat ihre eigenen Wurzeln und Ursachen, und Kreditgewährung allein, ohne Bekämpfung dieser Ursachen, wird die Lage der Armen nicht verbessern. Die Erfahrung zeigt, dass die Armut in Ländern, die sich wie Bangladesch überwiegend auf Mikrokredite als Mittel zu ihrer Verringerung konzentrieren, mit Sicherheit weiter bestehen und das Unternehmen Mikrokredit am Leben erhalten wird.
Neben der anhaltenden Armut haben diese Erfolge und Misserfolge, Errungenschaften und Grenzen von Mikrokrediten auch bewiesen, dass im Hinblick auf Armut, Deprivation, Analphabetismus, Umwelt, Unterernährung, Unsicherheit, Ungleichheit der Geschlechter und ungenutzte produktive Potenziale mehr nötig ist als bloß Geldflüsse, in welcher Form auch immer. Die „wunderbare Geschichte“ von Wohlstand, Solidarität und Empowerment durch Dr. Yunus und die Grameen Bank hat nur einen Fehler – es hat sie nie gegeben.
Übersetzung: Robert Poth.
Khorshed Alam ist Geschäftsführer des „Alternative Movement for Resources and Freedom Society“ aus Bangladesch, einer auf Entwicklungsfragen spezialisierten Menschenrechtsorganisation.