Warum Fadumo Dayib und ihre Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen in Somalia viel bewirken, auch wenn sie kaum Chancen auf das Amt hat, berichtet Markus Schönherr.
Somalias nächster Präsident: eine Präsidentin? In Somalia stehen Wahlen an, neben den Parlamentswahlen auch Präsidentschaftswahlen. Bereits für September angesetzt, sollen sie Ende November abgehalten werden. Eine der KandidatInnen: Fadumo Dayib, die als erste Frau in der Geschichte Somalias ins Rennen geht.
Reelle Chancen gibt Dayib sich selber nicht. Sie und viele Beobachterinnen und Beobachter bezweifeln, dass es demokratische Wahlen werden. Somalia hat nach langem Bürgerkrieg und Konflikten keine funktionierende Verwaltung.
Doch Dayib denkt weiter, hat die Hoffnung, dass ihre Kandidatur etwas bewirken und in weiterer Folge zu einer Demokratisierung beitragen könnte. Sie will ein Zeichen setzen: „Wir haben die zweite Generation, die nichts anderes kennt als Krieg.“ Junge Somalierinnen und Somalier bräuchten neue Vorbilder.
Flüchtling. Dayib war 1990 mit ihren beiden Geschwistern aus dem Bürgerkriegsland vor Islamisten nach Finnland geflohen. Dort lebt sie bis heute. Nach dem sie verlautbaren ließ, kandidieren zu wollen, bekam sie Morddrohungen. Vorwürfe einiger ihrer Landsleute, sie kenne die Probleme der Menschen als Exil-Somalierin nicht, kontert die 43-Jährige: „Ich habe Somalia nicht verlassen, um Urlaub zu machen. Ich musste fliehen. Außerdem wissen die Somalier, dass 70 Prozent der aktuellen Regierungsmitglieder ebenfalls im Ausland lebten und eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.“
Zudem habe sie abseits der Heimat Wissen erworben, das in Somalia fehle. Dayib war bei der UNO als Gesundheitsberaterin tätig. Später studierte die vierfache Mutter in Harvard in den USA öffentliche Verwaltung.
Seit 1990 musste Somalia jahrelang ohne eine funktionierende Verwaltung auskommen. 2004 kam eine Übergangsregierung an die Macht. Diese sowie Nachfolgeregierungen konnten teilweise wieder Stabilität herstellen.
Das Land habe zuletzt „große Fortschritte“ gemacht, so der UN-Sondergesandte für Somalia, Michael Keating, kürzlich. Trotzdem ist es ein Krisenstaat, die Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM noch von ihrem Ziel entfernt. Milizen und Islamisten, allen voran die Shabaab-Bewegung, kämpfen weiterhin um Territorien und Macht.
Diplomatie. Wie will Dayib Frieden schaffen? „Als Pragmatikerin lade ich die Shabaab an den Verhandlungstisch ein“, sagt sie über die Terrorgruppe, die nach wie vor sehr aktiv ist. 2015 tötete Shabaab 1.300 Menschen. „In einem Interview bekundete die Miliz ihr Interesse an Politik. Sie wollen Teil der politischen Struktur werden.“
Die al-Shabaab wolle Macht und um die zu bekommen, müsse sie Frieden schließen. „Nicht mit Terroristen zu verhandeln, diesen Luxus hat Somalia einfach nicht. Weder besitzen wir die militärischen noch die finanziellen Mittel für einen Krieg.“ Dayib ist pragmatisch, aber auch geradlinig und hart im Nehmen. Voraussetzung für Friedensverhandlungen sei ein Ende des Blutvergießens. Die Miliz müsse ihre Verbindung zum internationalen Terrorismus kappen und ihre Waffen abgeben.
Demokratie, Bildung, Justiz. Das Fehlen staatlicher Strukturen sieht Dayib als weitere zentrale Herausforderung. Nicht zuletzt in Hinblick auf Wahlen. So kritisierte sie etwa das „korrupte und inkompetente Wahlsystem“ und den Einfluss von traditionellen Clanführern.
Dieses verkrustete System könne keinen geeigneten Gewinner hervorbringen, so Dayib. Es halte jene Eliten am Leben, die für Jahrzehnte der Zerstörung und der Kriege verantwortlich sind.
Man müsse auf Bildung setzen. Nur Perspektiven für junge Menschen könnten verhindern, dass Milizen weiterhin Zulauf bekommen.
Anstatt der Scharia-Gerichte brauche Somalia wieder eine unabhängige Justiz, die es gilt wieder aufzubauen. Beim Thema Frauen wird Dayib energisch: Nicht zuletzt Somalias Frauen hätten 1960 für die Unabhängigkeit gekämpft, betont sie gerne. Dayib pocht unter anderem auf die Frauenquote, die Somalias Verfassung für das Parlament vorschreibt. Mindestens 30 Prozent der Abgeordneten sollten weiblich sein. Aktuell hat die Quote keine Chance auf Umsetzung.
Blick auf 2020. Dayib hofft auf internationale Unterstützung. Die Europäische Union etwa müsse realisieren, dass sie bisher eine inkompetente Machtelite unterstützt habe. Jetzt sei die Zeit gekommen, um Somalias Regierung für ihre Versäumnisse zur Verantwortung zu ziehen.
Wer gute Regierungsführung als Voraussetzung für Entwicklungshilfe fordere, der wecke Hoffnung bei den Menschen Somalias. Und die Hoffnung, dass bei den übernächsten Wahlen, theoretisch im Jahr 2020, der Präsident nicht mehr von Stammesführern bestimmt wird, sondern von den Somalierinnen und Somaliern. Oder wird es dann eine Präsidentin?
Markus Schönherr lebt als Auslandskorrespondent in Kapstadt und berichtet aus dem südlichen Afrika für deutschsprachige Zeitungen und Nachrichtenagenturen.
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