Jahrzehntelang haben die Bäuerinnen und Bauern in Kolumbien zwischen Kriegsfronten gelebt. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen FARC und Regierung drohen neue Gefahren, zum Beispiel Ölbohrungen. Eine Reportage von Ralf Leonhard.
"Brücke des Widerstandes“ nennen die Menschen in der Gemeinde Valparaíso im Amazonasdepartement Caquetá ein schmales, unscheinbares Brücklein über einen Bach. Sie leben von Landwirtschaft und Viehzucht. Letztes Jahr errichtete der chinesische Bergbau-Konzern Emerald Mining eine Bohrstation in unmittelbarer Nähe. Aus Angst vor Umweltverschmutzung und anderer negativer Folgen – und um ihre Verzweiflung zu demonstrieren – ketteten sich die Bäurinnen und Bauern an die Brücke und blockierten die Zufahrt.
Angeführt wurden sie vom 58-jährigen José Saldarriaga. Ende Mai, zwei Monate nach Beginn der Blockade, schickte das Innenministerium schließlich die ESMAD, die berüchtigte Anti-Aufruhr-Einheit der Polizei. Etwas hundert Bäuerinnen und Bauern stellten sich ihr entgegen, vermieden aber größeres Blutvergießen. Saldarriaga erzählt: „Wir legten die Ketten ab, damit sie uns nicht umbringen. Denn offenbar waren sie auf ein Massaker eingestellt.“ Einem Nachbarn hätten die Polizisten gesagt, drei Verletzte und zehn Männer mit Blessuren, das sei gar nichts. Sie hätten für den Einsatz ein Budget gehabt, um für 20 Tote Entschädigung zu zahlen.
In Kolumbien gehört alles, was unter der Erde liegt, dem Staat. GrundeigentümerInnen können sich also nicht widersetzen, wenn die Regierung eine Lizenz zur Ausbeutung der Bodenschätze an einen Konzern vergibt. Wer nicht verkaufen will, kann im öffentlichen Interesse enteignet werden.
Kolumbiens Bodenschätze
Kolumbiens Regierung setzt voll auf den Bergbau und die Ölförderung. Für die Jahre 2015 bis 2022 hat sie die Produktion von einer Million Barrel Rohöl täglich geplant.
2014 exportierte Kolumbien Erdöl im Wert von 28,9 Milliarden US-Dollar. Das entspricht 52 Prozent der Exporteinnahmen. An zweiter Stelle folgt Kohle mit 6,8 Mrd. Dollar. Nickel, Gold und Smaragde sind weitere bedeutende Mineralien. Neben den staatlichen Konzernen Ecopetrol und Ecocarbon graben und bohren Konzerne aus Kanada, den USA, Südafrika, Australien und China in Kolumbien. Ein bedeutender Anteil des Bergbaus wird in illegalen Kleingruben betrieben.
In seinem 2013 veröffentlichten Bericht „Minería en Colombia“ hat der Rechnungshof einen Zusammenhang zwischen Bergbau und Menschenrechtsverletzungen festgestellt. 80 Prozent – vor allem gewaltsame Vertreibungen – würden in Gemeinden begangen, wo Öl oder andere Mineralien gefördert werden. Trotzdem nimmt der Widerstand gegen solche Projekte zu. R.L.
Unter der Erde. Der Kampf um die Ressourcen wird in Kolumbien mit aller Härte geführt. Präsident Juan Manuel Santos hat für 23. März die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der größten Rebellenorganisation Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) angekündigt. Er hat nicht nur das künftige Wirtschaftswachstum auf wachsende Einnahmen aus dem Bergbau ausgerichtet. Auch die Kosten des Friedensabkommens will er damit finanzieren. So steht es im Entwicklungsplan 2014-2018. Für Santos ist der Bergbau eine der „Lokomotiven der Entwicklung“. Die Armee, die seit Beginn der Verhandlungen mit der Guerilla weniger beschäftigt ist, bekommt eine neue Aufgabe. Bereits jetzt sind mehr als 20 Bergbau-Bataillons zum Schutz der Minen- und Ölausbeutung aufgestellt worden.
Für die Bäurinnen und Bauern im Amazonasdepartement Caquetá klingt das wie eine gefährliche Drohung. Die ehemalige Urwaldregion ist durch systematische Besiedelung und Abholzung in den vergangenen 50 Jahren zu einer Hochburg der Rinderzucht geworden. Das Öl gefährdet das prekäre ökologische Gleichgewicht zusätzlich. Auch Carlos Ernesto Suárez, Pfarrer der Gemeinde Valparaíso, weiß das: „Die Konzerne versprechen alles Mögliche und nützen dabei die Unwissenheit der Menschen aus.“ Entwicklung in Gestalt besserer Straßen, Schulen und Gesundheitszentren würde das Sprudeln der Ölquellen begleiten. Umgesetzt werde aber nichts davon: „Sie hinterlassen nur giftige Abfälle, selbst wenn sie kein Öl finden.“ Der Geistliche hat daher – unterstützt von der österreichischen Dreikönigsaktion – in der Region Aufklärungsarbeit betrieben. „Jetzt lassen sich die Leute nicht mehr so leicht hinters Licht führen“, sagt er.
Giftiger Abfall. Inzwischen spricht sich herum, was ein Bergbbau-Projekt bedeutet. Alis Ramírez aus der nahe gelegenen Gemeinde Fragüita hat sich mit der Ölgesellschaft Pacific Rubiales angelegt. „Als sie mit den Bohrungen begannen, fiel jede Menge giftiger Abfall an. Sie kippten das einfach in den Fluss und wir mussten vergiftetes Wasser trinken“, erzählt die resolute Frau, die den Widerstand dagegen organisierte. Acht Tage lang hielten sie eine Straßenblockade durch. Dann kam die Armee und löste die Blockade auf. Zumindest wurde daraufhin der Giftmüll nicht mehr in den Fluss gekippt. Die giftige Schlacke wurde dann allerdings entlang der Straße verteilt und sickerte mit dem Regen ins Grundwasser. Jede Menge gesundheitlicher und vor allem soziale Probleme seien die Folge gewesen, erzählt Alis Ramírez, die inzwischen zu einer entschlossenen Aktivistin gegen Ölbohrungen geworden ist. Einige der Dorfältesten hatten sich durch großzügige Einladungen überzeugen lassen, dass das Öl Fortschritt und Reichtum bringen würde. „Es begannen soziale Auflösungserscheinungen“, erinnert sie sich bitter. „Wenn einer Arbeit bekam, wurde er nach zwei oder drei Wochen wieder entlassen. Gebraucht wurden Fachkräfte, die die Ölgesellschaft von woanders holte. Frauen fielen auf die Verführungskünste dieser Fremden herein. Familien zerbrachen und Mädchen landeten in der Prostitution.“
Nicht rentabel. Die Probebohrungen in Fragüita wurden inzwischen eingestellt. Nicht wegen der Proteste und der unleugbaren Umweltschäden, sondern weil die Qualität des Öls gering ist und der niedrige Weltmarktpreis derzeit die Ausbeutung nicht rechtfertigt. Sollte der Ölpreis aber wieder steigen, ist damit zu rechnen, dass die Bohrungen aufs Neue beginnen.
Auch der Ölkonzern Emerald Mining hat inzwischen einige Rückschläge einstecken müssen. So sind bei den Probebohrungen mehrere Bohrköpfe kaputt gegangen, und die Ergiebigkeit der Vorkommen dürfte die Erwartungen nicht erfüllen. Derzeit wird nicht gebohrt. Abgezogen ist der chinesische Konzern aber nicht. Und José Saldarriaga und seine Leute wollen auch nicht lockerlassen. Sie setzen ihre Informationsarbeit in den betroffenen Dörfern fort.
Wenig Hoffnung. Von den Behörden haben die Bäuerinnen und Bauern keine Unterstützung zu erwarten. Bei den zuständigen Ministerien in Bogotá sind sie abgeblitzt. Der Kongress hat sogar das ehemalige Urwalddepartement Caquetá per Gesetz für zwei Jahre aus der geschützten Amazonasregion ausgegliedert und der Andenregion zugeschlagen, damit Erdöl- und Bergbaulizenzen im großen Stil vergeben werden können. Deswegen glaubt Pfarrer Carlos Ernesto Suárez auch nicht, dass mit dem Friedensabkommen auch der soziale Friede in Kolumbien einkehren wird: „Leider sind die staatlichen Sicherheitskräfte nicht daran interessiert, die einfachen Menschen zu beschützen, weil die keinen Reichtum produzieren. Den Staat interessiert das Erdöl. Und wenn die Zivilgesellschaft nicht mit dessen Ausbeutung einverstanden ist, dann wird sie als Feind betrachtet.“
Der Autor ist seit über 30 Jahren freier Mitarbeiter des SWM, hat 15 Jahre in Lateinamerika gearbeitet und war zuletzt im November in Kolumbien.
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